Fröbelpädagogik heute: Modern, inklusiv und zukunftsweisend
Interview mit Prof. Dr. Andrea C. Schmid über Fröbels zeitloses Bildungskonzept
| Mai 2025Cari Alexander: Guten Morgen Frau Schmid. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben für das heutige Gespräch. Sie sind Professorin an der Universität Erfurt und haben sich auch, unter anderem als Vorsitzende der International Fröbel Society, ausgiebig mit der Fröbelpädagogik beschäftigt. Wir könnten uns jahrelang nur über Fröbel und seine pädagogischen Ideen unterhalten, aber vielleicht wäre es zu Beginn für unsere Leser hilfreich, die wichtigsten Säulen der Fröbel-Pädagogik zu erklären.
Grundpfeiler der Fröbelpädagogik: Ganzheitlich und naturnah
Prof. Dr. Andrea C. Schmid: Es geht erst einmal um die Historik – wie kommt Fröbel zu seinen Gedanken? Was hat er aus der Schweiz, aus Ifferten von Pestalozzi mitgenommen? Dann die große Leistung: Die Erfindung des Kindergartens. Seine ganzen Werbungsreisen dafür, dass er sich auch für die Ausbildung von Erzieher:innen eingesetzt hat oder auch von Pädagog:innen. Und was häufig vergessen wird, dass er auch die längste Zeit in der Schule gearbeitet hat und er eben mit seiner Sphärenphilosophie eine sehr ganzheitliche Philosophie sowie ein Menschenbild entwickelt hat, das in Kombination mit Natur und Gott steht, sozusagen mit einer kosmischen Energie.
Und die größte Leistung ist natürlich, dass er uns so vielfältige Materialien, Fröbelgaben und Mutter- und Koselieder hinterlassen hat, die heute noch weltweit angewendet werden. Wir versuchen, das auch in die Forschung, Lehre und in die Gesellschaft mit hineinzubringen. Das heißt, natürlich erforschen wir das Ganze auch historisch, aber eben auch empirisch – qualitativ und quantitativ. Wir gucken, dass wir in die Gesellschaft mit hineindenken, zum Beispiel durch die Würdigung als immaterielles Kulturerbe, was bis heute noch Bedeutung hat. So wäre meine Kurzzusammenfassung.
Inklusion und Elternarbeit: Fröbels moderne Perspektive
CA: Vielleicht können wir jetzt einen Blick auf die Personen werfen, die an der Erziehung eines Kindes beteiligt sind. Welche Rolle spielen denn die Eltern in der Fröbelpädagogik?
Prof. Dr. Schmid: Eine sehr, sehr wichtige Rolle. Ich denke auch, dass die Eltern mitgeschult werden können, je nachdem. Eltern wird man einfach so, für alle anderen Dinge braucht man eine Ausbildung. Deswegen wäre es sehr sinnvoll, dass sich auch Eltern mit den Fröbelgedanken und Fröbelinhalten beschäftigen, zum Beispiel im Gespräch mit Erzieher:innen. Was mir persönlich auch sehr gut gefällt: Fröbel hat sich mit Inklusion auseinandergesetzt, was ein sehr moderner Gedanke ist. Er hat sich in den Briefen mit Deinhardt in der Schweiz auseinandergesetzt, in denen sie sich über Taubheit oder Blindheit ausgetauscht haben. Sein Konzept berücksichtigt alle Menschen in der Ausbildung, also Mädchen und Jungen, was zu dieser Zeit nicht so selbstverständlich war. Es berücksichtigt auch alle Kinder, egal ob mit oder ohne Behinderung oder sozialer Benachteiligung, wie er es auch mit Pestalozzi, mit den Armenschulen in der Schweiz, durchgeführt hat.
Am wichtigsten finde ich für die Eltern, dass die Beziehung zu den Kindern gut bleibt, auch wenn Schwierigkeiten auftreten. Das heißt, die sozial-emotionale Komponente wird auch bei Fröbel sehr wertgeschätzt, dass man zusammen die täglichen Dinge des Lebens verrichtet, dass man tätig wird, also nicht nur Wissen anhäuft oder etwas lernt, sondern möglichst ganzheitlich arbeitet. Das konnte ich zum Beispiel erleben, als ich im März 2024 auf der Didacta in Köln mit Community Playthings im Austausch war und die schöne vorbereitete Umgebung sah – sehr ansprechend für Kinder gestaltet. Eltern sollen auch geschult werden, wie man mit den Materialien umgeht, wie man den Tag strukturiert, wie man in die Natur hinausgeht, vielleicht auch ein Beet, ein Kindergartenbeet pflege. Das wären alles Dinge, die mit Eltern zusammen besprochen werden können.
CA: Sie haben schon ein bisschen über die Gestaltung von Kindergärten gesprochen. Was könnten Erzieher:innen noch tun, um Fröbels Pädagogik im Kindergarten umzusetzen oder auch einen Kindergartenraum nach Fröbel zu gestalten?
Prof. Dr. Schmid: Man denkt oftmals zunächst an die materielle Ausstattung und es sollte selbstverständlich sein, dass es alles kindgerecht eingerichtet ist, also dem Alter entsprechend kleine Stühle und gut erreichbare Spielsachen, Regale. Auch das Ordnungssystem ist sehr wichtig, die Raumgestaltung: also viel Platz und verschiedene Abteilungen für bestimmte Anliegen. Manchmal will man allein etwas arbeiten, manchmal in der Gruppe, manchmal braucht man Stille, dann braucht man wieder Bewegung. Ebenfalls wichtig ist das Konzept, dass man das Draußen, die Naturmittel einbindet, wo man sich auch gut frei bewegen kann.
Und was man eigentlich nicht materiell fassen kann, aber trotzdem eine große Bedeutung hat, ist die Lernatmosphäre oder die soziale Atmosphäre – freundliche, helle Räume mit Natur, mit buntem Aufforderungscharakter von den Materialien her. Aber darüber hinaus sind die Naturmaterialien bedeutend, zum Beispiel die Schlichtheit von Massivholz. Diese Kombination macht es eigentlich aus, wo dann Kinder und Erzieher:innen und Eltern auch motiviert sind, sich zusammen einzubringen und gemeinsam zu gestalten.
CA: Und das Außengelände? Fröbel hat wahrscheinlich viel Zeit mit den Kindern einfach draußen im Wald verbracht. Aber nehmen wir als Beispiel einen städtischen Kindergarten, der nur einen kleinen Garten hat. Wie könnte so eine Einrichtung das Außengelände gestalten?
Prof. Dr. Schmid: Ich arbeite zum Beispiel auch mit dem Fröbel-Kindergarten in Erfurt zusammen, der offiziell ganz neutral „Zwergenland“ heißt. Nächste Woche besuche ich auch in Görlitz den Fröbel-Kindergarten. In so einem städtischen Kindergarten ist der Raum vielleicht beschränkt und gerade hier muss man gut durchdacht planen. Meiner Erfahrung sind aber zum Beispiel Rutschmöglichkeiten, Spielen mit Wasser und Anlegen von Hochbeeten auch auf kleinem Raum möglich, auch in den Städten.
Und dann muss ich wieder sagen, dass mich auch die Möglichkeiten sehr überzeugt haben, die Community Playthings hier zur Verfügung stellt – und auch der Ideenreichtum. Ich denke, man kann auch draußen kleine Theaterstücke aufführen oder Blumen oder Nutzpflanzen ziehen. Man kann ein kleines Wasserspiel aufstellen. Diese Bewegungsmöglichkeiten sowie die Hinführung zu einer Liebe zur Natur, zum tätigen Spiel und zum Lernen letztendlich sind an dieser Stelle doch auch gut durchführbar. Natürlich wäre es besser, wenn ich an der Fröbelschule in Keilhau denke, wo der Wald gleich dahinterliegt, und verschiedene Möglichkeiten bestehen, weitläufig zu agieren. Nach Fröbel wäre das natürlich noch besser. Mit Blick auf die moderne Zeit: Fröbel hat im Gegensatz zu Montessori gemeint, man könne seine Inhalte und Materialien der Zeit oder den Umständen gemäß anpassen. Von daher bin ich ganz froh, dass wir hier flexibel sind.
Von der Kita bis zur Erwachsenenbildung: Fröbels zeitlose Methodik
CA: Ich möchte zurückgehen zu dem, was Sie über Schulen gesagt haben, dass Fröbel auch mit Schulkindern gearbeitet hat. Wie könnte eine Schule die Fröbelpädagogik umsetzen?
Prof. Dr. Schmid: Ich sehe die Fröbelpädagogik als lebenslaufbegleitend an, sprich, wenn die Mutter schon mit dem ungeborenen Kind im Bauch die Mutter- und Koselieder vorsingt oder in einer angenehmen natürlichen Umgebung sein kann, dann hat das schon im vorgeburtlichen Sinne Einfluss auf das Werden des Kindes. Ich denke, es ist ein positiver Einfluss, denn die Vorteile sind fraglos in der Früherziehung, im Kindergartenbereich und im vorschulischen Bereich sichtbar.
Ich bin auch der Meinung, dass gerade der Übergang zwischen Kita, Kindergarten und Schule ein sehr guter Bereich wäre, um hier zusammenzuarbeiten, auch in der Einrichtung von Schulen. Es kostet natürlich auch Geld, aber ich denke, das wäre es wert, denn die Kinder sind die Basis für das Wohlbefinden einer Gesellschaft und da sollten wir sorgfältig vorgehen.
Und gerade im frühkindlichen Bereich, wo man ja viel bewirken kann, auch präventiv, ist es einfacher und vielversprechender zu handeln, als wenn das Kind schon „in den Brunnen gefallen“ ist und man später versucht, nachzujustieren. Von daher denke ich, dass sich diese Investitionen gerade im Schuleingangsbereich auszahlen und dann auch nachhaltig wirken. Vielleicht kommt das in der Summe auch günstiger als spätere Maßnahmen, wenn schon Schwierigkeiten auftauchen und man dann viel mehr investieren muss oder eben die Folgen dann zu tragen hat.
Außerdem denke ich, dass wir gute Voraussetzungen für gemeinsames Leben und Lernen schaffen, wenn wir die Heterogenität von den Kindern her mit einbeziehen, also egal welche Hautfarbe, welches Alter oder aus welcher Kultur sie stammen – zum Beispiel beim Erlernen von grundlegenden Farben und Formen. Wir sehen auch viele Kinder, die eigentlich nicht gut auf die Schule vorbereitet sind, vielleicht auch durch ein schwieriges Elternhaus oder durch Flucht und Traumatisierung oder – wie auch immer – durch eine andere Kultur und für eine Schulfähigkeit erst einmal Unterstützung benötigen. Das vorbereitete Material und auch die Möbel stellen hier eine gute Grundlage dar, dass ich mit Farben, Formen, Oberflächen, Unterschieden und zeitlichen Abfolgen die Sprache hier mit fördern kann. Es wäre sehr sinnvoll, mit so einem Wohlfühlraum, mit einer guten Lernatmosphäre starten zu können.
Als wir an Berufsschulen waren, haben wir zum Beispiel in der Erforschung von Fröbel festgestellt, dass in jedem Alter das Material oder diese Haltung und diese Philosophie nach Fröbel eingesetzt werden kann. Da haben wir beispielsweise zusammen mit Dr. Nikolas Rathert versucht, die räumliche Wahrnehmungsfähigkeit von Berufsschüler:innen durch Würfelgebäude zu fördern, also durch die dritte Fröbelgabe. Und dann hatten wir im zweidimensionalen Raum Grundrisse, wo man gucken musste, ob die Würfelgebäude hineinpassen und untersuchten das Erkennen der Würfelgebäude mit Intelligenztestverfahren. Es gibt hier Verfahren zur räumlichen Wahrnehmung und es wurde versucht, was Fröbel natürlich noch nicht konnte, 3D-Würfelgebäude auf Computern nachzubauen oder wiederzuerkennen. Dann schult man tatsächlich. Hier besteht eine sehr gute Möglichkeit, große Fortschritte zu erzielen.
Und es geht auch im Erwachsenenalter weiter, wenn man sich damit beschäftigt. Später könnte man auch Demenzkranke fördern oder beschäftigen und die geistigen, mentalen, psychischen und physischen Kenntnisse oder auch das Wohlbefinden hier stärken. Und auch wenn man in einer Gruppe dann zusammen ist, dass man nicht sozial isoliert und einsam ist, sondern wirklich mit sinnvollen und Spaß bereitenden Beschäftigungen, die einen geistig fit halten, gemeinsam tätig ist. Auch in diesem Bereich könnte Fröbels Pädagogik gut eingesetzt werden.
Fröbels Vermächtnis: Fünf zentrale Aspekte für die moderne Pädagogik
CA: Fröbel hat vor vielen Jahren gelebt, aber wie wir gerade gesehen haben, sind seine pädagogischen Gedanken auch heute sehr relevant. Was ist Ihrer Meinung nach das bedeutendste Vermächtnis Fröbels und wie können wir das auch noch heute lebendig halten?
Prof. Dr. Schmid: Ich kann auf fünf Punkte verweisen, die ich immer noch sehr, sehr wichtig finde. Der erste Punkt ist, dass Friedrich Fröbel seine Gedanken zur Pädagogik in eine übergeordnete Philosophie und in ein Menschenbild einbettet, in Verbundenheit mit der Natur und zu Gott – als übergeordnete Kraft, als Energie oder auch als Universum zu sehen. Diese Sphärenphilosophie wäre heute immer noch ein tragendes theoretisches Fundament.
Der zweite Punkt neben der Theorie zielt dann auf die Praxis ab. In der Arbeit als Menschenerzieher, wie er sich bezeichnet, entwickelt er aus der Praxis heraus viele anwendbare Spiele, Gaben, Beschäftigungen sowie Mutter- und Koselieder und gibt diese als Beitrag auch für die moderne Ausbildung und Professionalisierung von Pädagog:innen frei. Als Drittes finde ich auch, dass er ein Wegbereiter der modernen Inklusion ist. In seiner Zusammenarbeit mit Heinrich Pestalozzi in Ifferten in der Schweiz weitet er sein Wirken auf Menschen aus, die von Armut und Behinderung betroffen sind, sodass dieser inklusive gemeinschaftliche Gedanke auch hier vorhanden ist. Das erkenne ich als eine sehr moderne Ansicht an.
In der konstruktiven Kritik an den herrschenden Verhältnissen in der damaligen Zeit, in den Schulen oder in den Erziehungsheimen, setzt sich Friedrich Fröbel für eine – im reformpädagogischen Sinne – nachhaltige und möglichst ganzheitliche tätige Bildung ein. Ein Beispiel dafür wäre eben auch der Schulgarten, den er hier im schulischen Bereich, aber auch im vorschulischen Bereich ansetzt. Zum Beispiel hat die Universität Erfurt den Schulgarten als ein Wahlfach innerhalb von Sachunterricht eingeführt, das man als vollwertiges Fach studieren kann. Ich denke, die Fröbelpädagogik beinhaltet Grundgedanken wie die Nachhaltigkeit und Beziehungsförderung, die aktuell immer noch von herausragender Bedeutung sind.
Und jetzt würde ich zum letzten Punkt kommen: Großartig ist, dass Fröbel immer noch eine internationale Strahlkraft besitzt. Das heißt, dass er tatsächlich auf der ganzen Welt in die Gesellschaft hineinwirkt. Dazu passt das Ansinnen, das wir jetzt planen: Nachdem die Kindergartenidee von Friedrich Fröbel, mit der er letztendlich weltweit bekannt wurde, als immaterielles Landeskulturerbe von Thüringen eingetragen wurde und dann ebenso als deutschlandweites immaterielles Kulturerbe, arbeiten wir jetzt daran, die Voraussetzungen zu erschaffen, auch als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragen zu werden. Hier suchen wir international Mitstreiter: innen, da mindestens zwei Länder weltweit benötigt werden, die auch durch diesen Prozess gegangen sind.
CA: Vielen Dank für das Gespräch!