Unterstützende Umgebungen für die sensorischen Erlebnisse von Kindern schaffen
| November 2025Kleine Kinder erleben die Welt in erster Linie durch ihre Sinne – Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen. Ihre Wahrnehmung ist unmittelbar und direkt, sodass ein vielfältiges Mosaik an Erfahrungen entsteht. Die Wahrnehmungserfahrung oder individuelle „sensorische Blase“ eines jeden Kindes ist einzigartig. Ein gut gestalteter Gruppenraum für die frühkindliche Bildung berücksichtigt diese unterschiedlichen sensorischen Blasen, um der Entwicklung der jeweiligen kindlichen Bedürfnisse gerecht zu werden.
Ein Blick auf die Tierwelt veranschaulicht die Bedeutung dieser sensorischen Blasen. Der deutsch-baltische Zoologe Jakob von Uexküll stellte die Theorie auf, dass zwei Organismen dieselbe Umgebung unterschiedlich wahrnehmen. Er bezeichnete das individuelle Erlebnis eines bestimmten Tiers in seiner Umgebung als dessen „Umwelt“. Er glaubte, dass jedes Lebewesen in seine eigene Wahrnehmungsblase eingeschlossen ist.
Der Wels lebt beispielsweise in einer Umwelt des Schmeckens, denn sein Körper ist mit Geschmacksknospen überzogen. Der Wels ist praktisch eine schwimmende Zunge und kann sein Abendessen schmecken, bevor er es im Maul hat. Der Bartkauz dagegen lebt in einer Umwelt des Hörens und kann eine Maus aus ihrem schneebedeckten Versteck ziehen, indem er auf Bewegungs- oder Kaugeräusche achtet, die aus unter 30 Zentimetern Schnee hervordringen.
Jedes dieser Tiere erlebt seine Umgebung auf einzigartige Weise, und dasselbe gilt auch für jedes Kind. Die persönliche Umwelt von Kindern wird von ihren sensorischen Erfahrungen geprägt.
Kinder und sensorische Blasen
Kinder entwickeln ihre sensorischen Fähigkeiten auf sehr individuelle Weise durch ihre tagtäglichen Erlebnisse. Obwohl alle Kinder gelegentlich mit sensorischer Regulation und Verhaltenssteuerung zu kämpfen haben, stehen einige vor größeren Herausforderungen als andere. Kinder mit einem besonders sensiblen Wahrnehmungsapparat empfinden bestimmte Reize häufig als überfordernd, während andere auf dieselben Empfindungen kaum reagieren.
Manche Kinder haben Schwierigkeiten, sensorische Reize zu verarbeiten, was zur Überlastung ihres Systems führt. Sie erschrecken bei plötzlichen Geräuschen, reagieren beunruhigt auf bestimmte Oberflächenstrukturen oder meiden helles Licht. In einer mit Reizen überfluteten Umgebung empfinden diese hypersensiblen Kinder häufig Angst und Stress; dies kann zu Wutanfällen und zum Rückzug aus sozialen Interaktionen führen. Gelegentlich haben sie auch Probleme mit ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen. Es fällt ihnen schwer, Freundschaften zu pflegen, was Gefühle der Isolation oder Frustration auslösen und sogar ihr Lernen beeinträchtigen kann.
Andere Kinder sind dagegen besonders unempfindlich und weisen eine geringe Reizreaktion auf. Manchmal bemerken sie Geräusche, Berührungen oder visuelle Reize, die für andere offensichtlich sind, gar nicht. Diese Kinder versuchen, ihre Hyposensibilität durch intensive sensorische Erlebnisse auszugleichen. Zum Teil äußert sich die Suche nach ausreichender sensorischer Stimulation in Verhaltensweisen wie sich im Kreis drehen, Springen oder Berühren verschiedener Oberflächenstrukturen. Dieses Verhalten kann die Konzentrationsfähigkeit und die Teilnahme an strukturierten Aktivitäten beeinträchtigen. Darüber hinaus reagieren hyposensible Kinder unter Umständen weniger stark auf Schmerzen, was zu einer gesteigerten Risikobereitschaft führt.
Unterstützende Umgebungen für die sensorischen Erlebnisse von Kindern
Wenn pädagogische Fachkräfte verstehen, wie Kinder ihre Umwelt erleben, können sie unterstützende Umgebungen schaffen, die den individuellen sensorischen Bedürfnissen gerecht werden. Nachstehend einige Strategien für die Gestaltung unterstützender Umgebungen für alle Kinder.
Rekalibrierungsräume.
Kinder, denen es schwerfällt, Erlebnisse oder Aktivitäten zu verarbeiten, profitieren unter Umständen von Ruheräumen, in die sie sich von sensorischen Reizen und aus sozialen Interaktionen zurückziehen können. Diese Räume sollten am Rand des Gruppenraums liegen, abseits vom Mittelpunkt des Geschehens, und Platz für jeweils ein Kind bieten. In einem solchen Rekalibrierungsraum sollten die visuellen und akustischen Reize reduziert werden; außerdem sollten Objekte vorhanden sein, die beruhigend wirken (z. B. Kissen, gewichtete Objekte, taktile Gegenstände, Kopfhörer). Geeignet sind beispielsweise die kleineren geschlossenen Räume hinter einem Regal oder unter einer Arbeitsfläche (der Raum muss zur Beaufsichtigung für Erwachsene einsehbar sein).
Für hyposensible Kinder dagegen können Sensorik-Räume hilfreich sein. Diese Umgebungen bieten verschiedene sensorische Erlebnisse, die die Sinne stimulieren und ansprechen sollen. Sensorik-Räume umfassen taktile Materialien (verschiedene Oberflächenstrukturen), visuelle Reize (Zusammenspiel von Licht und Schatten) und propriozeptive Aktivitäten (Klettern oder Springen). Der Schlüssel zu einem Rekalibrierungsraum ist, dass die Kinder die Kontrolle haben und ihre Sinne bei Bedarf abseits von der allgemeinen Hektik des Gruppenraums neu kalibrieren können.
Flexible Beleuchtungssysteme.
Die Integration von Lichtverläufen in Umgebungen für kleine Kinder bietet zahlreiche Vorteile, darunter größeren Komfort, bessere Konzentration und Förderung des emotionalen Wohlbefindens. Die Nutzung von natürlichem Licht kann sich positiv auf die Stimmung der Kinder auswirken und Angstgefühle mindern. Das konstante Flackern von Leuchtstofflampen wird häufig als unangenehm empfunden. Eine Lösung besteht darin, die Beleuchtung im Gruppenraum vielfältig zu gestalten, mit zusätzlichen Lichtquellen wie Boden-, Hänge- oder Tischlampen sowie Erlebnisangeboten wie Leuchttischen und bruchfesten Spiegeln.
Verschiedene Oberflächen und Materialien.
Die Bereitstellung verschiedener sensorischer Reize gibt Kindern die Möglichkeit, beim Spiel auf ihr eigenes sensorisches Wohlbefinden zu achten und im eigenen Tempo angemessene sensorische Risiken einzugehen.
Mit Sensorik-Behältern, die mit verschiedenen Oberflächenstrukturen und Materialien (z. B. Sand, Wasser, natürliche Materialien) gefüllt sind, können Kinder ihre Umgebung auf ihrem eigenen sensorischen Wohlfühlniveau erkunden. Matten mit unterschiedlichen Oberflächen (z. B. weich, rau, uneben), auf denen Kinder laufen oder die sie berühren können, fördern das Lernen.
Flexibles Manipulationsspielzeug ist eine großartige Ergänzung der frühkindlichen Lernumgebung. Bieten Sie unterschiedliches Sensorik-Spielzeug mit verschiedenen Oberflächen an, wie Quetschbälle, unterschiedlich strukturierte Streifen oder sensorische Ringe.
Wohntextilien wie Bean Bags, Kissen und flauschige Vorleger schaffen gemütliche Räume für die Selbstregulation. Hypersensiblen Kindern bieten Gewichtsdecken ein Gefühl von Wohlbefinden und Sicherheit, insbesondere in Kombination mit Rekalibrierungsräumen.
Schallschutz.
Schallschutz spielt in frühkindlichen Umgebungen eine wichtige Rolle, insbesondere für die Bedürfnisse von Kindern, die mit der sensorischen Verarbeitung Probleme haben. Schalldämpfende Materialien wie Teppichböden, große Teppiche und Schallschutzplatten können den Lärmpegel senken. Akustik- oder Schallschutzplatten an der Decke reduzieren den allgemeinen Geräuschpegel im Gruppenraum zusätzlich. Auch Wohntextilien wirken schalldämpfend und sorgen so für ein ruhigeres Umfeld für die Kinder.
Bauen Sie regelmäßige Ruhezeiten in den Tagesablauf ein, also reizarme Perioden, in denen hypersensible Kinder neue Energie schöpfen können. Integrieren Sie gegebenenfalls auch flexible Aktivitäten in den Tagesplan. Gruppenübungen sollten möglichst sowohl stille als auch aktive Elemente umfassen, die den unterschiedlichen sensorischen Bedürfnissen gerecht werden. Beispielsweise könnten Sie die stille Vorlesezeit mit interaktivem, lauterem Spiel kombinieren. Stellen Sie für hypersensible Kinder, die in lauten Umgebungen zusätzliche Unterstützung benötigen, Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung bereit. Vermitteln Sie Kindern Strategien der Selbstregulation wie tiefes Durchatmen oder stille Signale, wenn sie sich vom Lärm überfordert fühlen.
Ein ausgewogenes sensorisches Umfeld gestalten
Ein ausgewogenes Umfeld, das die sensorischen Bedürfnisse aller Kinder unterstützt, ist für eine effektive frühkindliche Entwicklung unerlässlich. Flexible Wahlmöglichkeiten gestatten es den Kindern, im eigenen Tempo zu erkunden, während Erziehungskräfte die Materialien nach Bedarf anpassen können. Bei Kindern mit besonders hoher Sensibilität kann die schrittweise, kontrollierte Einführung sensorischer Erlebnisse die Toleranz steigern. Umgekehrt kann strukturiertes sensorisches Spielen Kindern mit geringer Reizempfindlichkeit helfen, ihre Umgebung auf sichere Weise zu erkunden. Dieses Gleichgewicht im Gruppenraum zu erzielen stellt eine Herausforderung dar. Nachstehend sind einige Strategien aufgeführt, die dazu beitragen können, ein integratives und unterstützendes Lernumfeld zu schaffen.
- Ruhige Räume mit sanftem Licht, minimalem Geräuschpegel und beruhigenden Farben anbieten
- Aktive Räume mit dynamischer Beleuchtung, interessanten Oberflächenstrukturen und interaktiven Elementen bereitstellen
- Sensorische Wände, vertikale Lernräume oder interaktive Paneele nutzen, die stimulieren, ohne hypersensible Kinder zu überfordern
- Einstellbare Beleuchtung verwenden, die gedämpft oder intensiviert werden kann
- Fenster und Oberlichter einbauen, die Tageslicht und einen Blick auf die Natur bieten
- Sensorik-Behälter mit verschiedenen Oberflächenstrukturen und Objekten zusammenstellen, die sich für ruhiges Erkunden oder aktiveres Spielen eignen
- Kindern gestatten, Materialien und Oberflächen auszuwählen, mit denen sie sich wohlfühlen Individuelle Sensorik-Sets je nach den Präferenzen der einzelnen Kinder zusammenstellen
- Schalldämpfende Materialien verwenden, um den Lärmpegel in aktiven Bereichen zu senken
- Sanfte Hintergrundmusik oder Naturgeräusche verwenden, die hochempfindliche Kinder beruhigen und weniger empfindliche Kinder anregen können
- Pädagogische Fachkräfte zu den Auswirkungen von Geräuschen und anderen Sinneswahrnehmungen auf das kindliche Verhalten schulen
- Mit Familien zusammenarbeiten, um die sensorischen Präferenzen der Kinder zu ermitteln
Durch die Gestaltung von Räumen, die den verschiedenen sensorischen Bedürfnissen von Kindern gerecht werden, können Erziehungskräfte integrative, unterstützende Umgebungen fördern, die Lernen, Entwicklung und Wohlbefinden aller Kinder unterstützen. Ebenso wie der Wels und der Kauz von ihren Umwelten des Schmeckens und Hörens profitieren, können Kinder in sorgfältig gestalteten Lernumgebungen florieren, die ihren sensorischen Bedürfnissen entsprechen.
Ressourcen
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