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Physik in der Kita

MINT mit Kugelbahnen und Bausteinen fördern

Prof. Dr. Betty Zan | März 2023

Ein sechsjähriger Junge experimentiert mit Kugelbahnen und Einheitsbausteinen

Alex und Micha spielen im Bausteinbereich ihrer Kita. Als sie anfingen, mit den Bahnen zu experimentieren, platzierten sie mehrere Bahnteile hintereinander, wodurch sehr lange Kugelbahnen entstanden. Heute haben sie entschieden, dass ihre Kugelbahn um die Ecke gehen soll. Micha platziert zwei Bahnteile im rechten Winkel zueinander, wobei das erste auf einem Baustein liegt. Sie sind überrascht, als die Murmel in dieselbe Richtung weiter rollt und nicht im rechten Winkel der von ihnen gebauten Bahn folgt. Um zu verhindern, dass die Murmel über die Bahn hinausschießt, platziert Alex einen Baustein am Ende des ersten Bahnteils. Die Murmel stoppt, als sie auf den Baustein trifft, und rollt dann in die neue Richtung. Erfolg! Micha beschließt, die Murmel schneller rollen zu lassen, indem er mehr Bausteine unter das erste Bahnteil legt. Als die Murmel dieses Mal auf den Baustein trifft, wirft sie ihn um. Micha und Alex experimentieren die nächsten zwanzig Minuten mit der Abschüssigkeit des ersten Bahnteils und dem Baustein am Ende.

Alex und Michas Beschäftigung mit den Kugelbahnen ist ein perfektes Beispiel für MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Die Kinder beschäftigen sich intensiv mit Naturwissenschaften (die Physik, die mit der Schaffung einer stabilen Struktur und dem Bewegen von Objekten auf verschiedene Weise verbunden ist), mit Technik (ein Struktur so zu verwenden, dass sie ihnen ermöglicht, Murmeln auf interessante Weise zu bewegen), mit Informatik (Planen von Abläufen) und mit Mathematik (Denken über Zahlen, Raum, Formen und Muster).

Kleine Kinder sind angehende Physiker. Sie sind voller Neugier auf die Welt und wollen herausfinden, wie sie funktioniert. Sie sind auch angehende Ingenieure, die Dinge erfinden, Pläne entwerfen und Probleme lösen. Vor allem aber wollen sie aktiv sein und etwas Interessantes unternehmen. Die Fähigkeit von Kindern, wissenschaftlich zu denken, wird stark unterschätzt, wie die Autoren des vom National Research Council der USA herausgegebenen Buchs Taking Science to School belegen, indem sie die Forschung mehrerer Jahrzehnte zusammenfassen. Ein Grund dafür ist, dass Erzieherinnen und Erzieher oft nicht wissen, wie sie die angeborene Neugier der Kinder auf die Welt nutzen können und ihre enorme Fähigkeit, Themen zu erforschen, die sie faszinieren.

Wenn sie im Bereich Physik und Technik forschen, können sie physikalische Phänomene aktiv untersuchen und steuern. Wenn sie z. B. Wasser von einem Behälter in einen anderen gießen, beginnen sie zu verstehen, was Flüssigkeiten sind und inwiefern sie sich anders verhalten als Feststoffe. Beim Bau von Windrädern, Fallschirmen und Papierfliegern erforschen sie, wie Luft als Kraft genutzt werden kann, um Dinge zu bewegen. Und wenn sie Bausteinstrukturen bauen, die Kugelbahnen umfassen und auf denen sich Murmeln auf interessante Weise auf diesen Bahnen bewegen (z. B. die Richtung ändern, Steigungen hochrollen, über Lücken springen, durch die Luft fliegen und in einem Behälter landen, Ziele umstoßen usw.), fangen sie an, ein praktisches Verständnis für die Gesetze der Physik zu entwickeln.

Zwei Kinder rollen eine Murmel eine selbst gebaute Murmelbahn hinunter

Ein Junge und ein Mädchen spielen mit Bausteinen, Kugelbahnen und Murmeln

Aktivitäten wie diese motivieren Kinder, ihre Umgebung aktiv zu erforschen, sie zu verstehen und das Gelernte zu nutzen, um selbstwirksam ihre Umwelt zu gestalten. Für pädagogische Laien mag das aussehen, als ob „die Kinder hier nur spielen“, aber Fachkräfte erkennen, dass hier im Spiel wichtige Lernerfahrungen stattfinden. Kinder lernen Prozesse, die in Naturwissenschaft und Technik wichtig sind, etwa wie man Fragen stellt und nach Antworten sucht, wie technische Probleme erkannt und gelöst werden. Sie lernen, wie man etwas untersucht und genau beobachtet, wie man auf der Grundlage von Beweisen etwas erklärt und wie man seine Schlussfolgerungen anderen mitteilt. Sie beschäftigen sich auch mit wichtigen naturwissenschaftlichen Konzepten wie Ursache und Wirkung (wenn ich die Kugelbahn steiler mache, rollt die Murmel schneller), Muster (wenn ich die Ausrichtung der Bausteine ändere, ist die Basis der Bahn stabiler), Systeme (wenn ich ein Teil der Bahn bewege, wirkt sich das auf die gesamte Struktur aus) und Energie (die schwerere Murmel wird einen Baustein am Ende der Bahn umwerfen, aber eine leichtere Murmel prallt einfach ab).

Wenn Kinder die Bewegung von Objekten auf Bahnen frei ausprobieren und untersuchen dürfen, investieren sie viel geistige Energie, um immer komplexere Kugelbahnen zu entwerfen und zu bauen. Entgegen der landläufigen Meinung haben kleine Kinder nicht unbedingt eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Sie haben nur kurze Aufmerksamkeitsspannen für Aktivitäten, die sie nicht interessant finden. Aber Kugelbahnen sind faszinierend, und Kinder verbringen oft viel Zeit mit der Arbeit an ihren Konstruktionen. Bahnen ermöglichen es auch Kindern mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, aktiv an Bildungsangeboten teilzunehmen. Weil die Verwendung von Kugelbahnen nicht unbedingt sprachliche Kommunikation erfordert, können zweisprachige Kinder, Kinder mit Sprachverzögerungen und Kinder, die nur wenig oder gar nicht sprechen können, ohne Benachteiligung mit ihren Altersgenossen zusammen spielen. Mit Kugelbahnen zu spielen kann sogar dazu beitragen, die Kommunikation zu fördern, denn Kinder sind hoch motiviert, ihren Freunden mitzuteilen, was sie gemacht haben.

Ein Kind baut aus verschieden großen Holzbausteinen eine Murmelbahn

Obwohl es einige Hersteller gibt, die fertige Murmelbahnen anbieten, kann man sich das Material dafür auch einfach im Baumarkt kaufen. Am besten eignen sich sogenannte „Hohlkehlleisten“ mit einer Breite von 30 bis 35 cm. Sie sind auf einer Seite flach und auf der anderen Seite leicht nach innen gewölbt. Die Innenwölbung verhindert, dass die Murmel seitlich herunterrollt, und mit der flachen Seite können Kinder sie stabil auf den Bausteinen platzieren.

Faktoren, die bei der Einführung von Bahnen zu berücksichtigen sind:

1. Fangen Sie mit Einheitsbausteinen an.

Bevor sie Kugelbahnen bauen können, müssen die Kinder erst gelernt haben, wie sie mit Bausteinen bauen. Kinder müssen mit den Bausteinen vertraut sein, mit der Art, wie sie zusammenpassen, wie sie balancieren, wann sie rutschen und herunterfallen. Und sie brauchen Erfahrung mit der Offenheit von Bausteinen, d. h. mit der Tatsache, dass sie selbst bestimmen können, was sie bauen, ohne Anleitung oder Input von Erwachsenen. Wenn die Kinder mit den Bausteinen vertraut geworden sind, können Sie den Konstruktionsbereich um Bahnen erweitern.

2. Fangen Sie mit einer Sorte Murmeln an.

Wenn Kinder die Kugelbahnen mit nur einer Art von Murmeln kennenlernen, können sie ihre Aufmerksamkeit auf die Funktionsweise der Bahnen richten und begreifen, wie die Höhe und Länge der Bahnen bestimmt, wie sich die Murmeln bewegen. Dies ist eine Möglichkeit, wie Erziehungskräfte Kindern helfen können, die Bahnen zu verstehen, indem sie Variablen wie Größe, Gewicht und Form der verwendeten Gegenstände kontrollieren. Das soll nicht heißen, dass Kinder keine Erfahrungen mit anderen Objekten machen sollten – Murmeln und anderen Kugeln unterschiedlicher Größe, Gewichte und Materialien sowie Objekten unterschiedlicher Formen – aber diese Erfahrungen können warten, bis Kinder mit der Funktionsweise der Bahnen vertraut sind. In Gruppen, in denen Kinder immer noch Gegenstände in den Mund nehmen, dürfen nur Murmeln verwendet werden, die zu groß sind, um eine Erstickungsgefahr darzustellen.

3. Haben Sie Geduld und lassen Sie die Kinder selbst herausfinden, wie sie die Bahnen benutzen können.

Schon Dreijährige können herausfinden, dass ein Murmel eine Bahn hinunter rollt, wenn sie ein Ende der Bahn anheben. Es kann ein paar Tage dauern, aber sie werden es herausfinden. Und wenn in einer Gruppe von Kindern ein Kind etwas herausfindet, dann werden die anderen schnell folgen.

4. Widerstehen Sie der Versuchung, Probleme der Kinder für sie zu lösen.

Wenn Kinder Probleme mit den Kugelbahnen selbst lösen können, entwickeln sie nicht nur Wissen über die Bahnen und wie sie funktionieren, sondern auch Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, schwierige Probleme zu bewältigen und ihre eigenen Lösungen zu finden. Wenn Kinder zum Beispiel beginnen, die Bahnen zu benutzen, verwenden sie oft nur ein Bahnteil und rollen die Murmeln immer wieder hinunter.  Schließlich kommen sie auf die Idee, mehr als ein Teil zu verwenden.  Damit entsteht ein Problem: Wie lassen sich die beiden Teile so verbinden, dass die Murmel weiter hinunter rollt? Kinder wählen zunächst immer eine von zwei Arten, um die beiden Teile miteinander zu verbinden.  Sie ordnen die Bahnen in einer Linie an, aber mit einer Lücke dazwischen, so dass die Murmel, wenn sie die erste Bahn hinunter rollt, in der Lücke landet und dort stecken bleibt. Oder sie legen die zweite Bahn auf die erste, sodass die Murmel, wenn sie das Ende der ersten Rampe erreicht, auf das hintere Ende der zweiten Rampe trifft und stehen bleibt.

Zwei Stücke einer Kugelbahn sind auf Weisen verbunden, die nicht funktionieren

So oder so, die Lösung des Problems ist für Erwachsene offensichtlich.  Wenn wir das Problem für sie lösen, hilft ihnen das jedoch nicht, zu verstehen, warum das Problem überhaupt aufgetaucht ist und weshalb die Lösung funktioniert. Wenn Sie möchten, dass die Kinder verstehen, was mit den Bahnen geschieht, lassen Sie sie die Probleme selbst lösen, wenn sie entstehen.

5. Lassen Sie den Kindern ausreichend Zeit, die Bahnen zu erkunden.

Ausreichend Zeit bezieht sich sowohl auf die Zeit während des Tages, in der die Kugelbahnen für Kinder verfügbar sind, als auch auf die Zeit über Wochen, Monate und sogar Jahre.  Es braucht Zeit, um etwas wirklich zu erforschen: Zeit, um dasselbe immer wieder zu wiederholen, um Neues auszuprobieren, um sich auf Ästhetik zu konzentrieren – und manchmal auch einfach Zeit zum Nachdenken.  Wenn Sie die Bahnen einmal im Bausteinbereich eingeführt haben, dann lassen Sie sie dort.  Das Interesse der Kinder, mit den Bahnen zu spielen, mag im Laufe des Jahres zu- und abnehmen, aber die Kinder werden immer wieder mit neuen Ideen zu den Bahnen zurückkehren.

Neben der Bereicherung des Bausteinspiels der Kinder und der Vermittlung wichtiger MINT-Konzepte und -Fähigkeiten fördert das Spiel mit den Bahnen auch eine positive Einstellung zum Lernen.  Wenn Kinder die Kugelbahnen erforschen und ausprobieren, praktizieren sie Konzentration, Aufmerksamkeit, Ausdauer, Neugier, Erfindergeist und Kreativität und sie lernen, Probleme eigenständig zu lösen. All dies sind Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert unentbehrlich sind und den Kindern ihr ganzes Leben lang zugute kommen werden.  Nicht alle Kinder werden Mathematiker, Programmierer oder Naturwissenschaftler werden, aber alle Kindern werden zu Erwachsenen werden, deren Alltag von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft geprägt sind. Erfahrungen mit Materialien wie Kugelbahnen und Bausteinen werden ihnen helfen, zu wissenschaftlich mündigen Bürgern des 21. Jahrhunderts zu werden.

Wer an weiteren Informationen über dieses Thema interessiert ist, kann sich die Webseite des Ramps and Pathways-Projekts ansehen.

Quellenangaben:

Duschl, R. A., H. A. Schweingruber, und A. W. Shouse (Hrsg.) (2007). Taking science to school: Learning and teaching science in grades K-8. Washington, DC: The National Academies Press.

Themen
MINT, Bausteinspiel
Alter
Kindergarten
Verwendung
Weiterbildung