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Ein Ja-Umfeld schaffen

| Juli 2025

Wie war das früher bei Ihnen? Wie oft haben Sie als Kind das Wörtchen „Nein“ gehört? Vermutlich haben Sie das als frustrierend und entmutigend empfunden. Und die Kinder in Ihrer Gruppe? Wie oft stoßen sie auf ein „Nein“? Können die Kinder – und Sie – den gemeinsamen Tag genießen, wenn Sie immerzu „Nein“ sagen müssen?

Wenn ein Gruppenumfeld so aufgebaut ist, dass pädagogische Fachkräfte den Kindern ständig mit „Nein“ begegnen müssen, ist das für alle Beteiligten belastend. Die Erziehungskraft ist nicht länger die Person, die das Spiel und Lernen der Kinder unterstützt, sondern überwacht nur noch, was die Kinder tun und nicht tun dürfen. Um diesen Stress zu mindern, muss ein Gruppenraum ein Umfeld bieten, in dem Kinder Erfolgserlebnisse verbuchen können – durch Möglichkeiten, Neues zu erkunden, ohne von den Erwartungen Erwachsener eingeschränkt zu werden.

Ein Ja-Umfeld hat vier wichtige Komponenten: Respekt für Kinder, Prozess statt Ergebnis, die Chance, Risiken einzugehen, sowie die Rolle der pädagogischen Fachkraft in der Gruppe. Eine gut durchdachte, bewusste Umsetzung dieser Elemente im pädagogischen Umfeld reduziert den Stress und ermöglicht mehr Erfolge – sowohl für die Kinder als auch für die Erziehungskraft.

Kind auf Rutschfahrzeug

Respekt für Kinder

Es ist wichtig zu wissen, an welchem Punkt in ihrer Entwicklung die Ihnen anvertrauten Kinder stehen. Dann können Sie den Gruppenraum entsprechend einrichten und Bereiche für Aktivitäten bereitstellen, bei denen die Kinder ohne Hilfe von Erwachsenen erfolgreich sein können. So zeigen Sie, dass Sie die Fähigkeiten der Kinder respektieren. Natürlich ist es kein Problem, neue Herausforderungen bereitzustellen – es wird jedoch zum Problem, wenn Kinder das Gefühl haben, dass sie eine Herausforderung ohne Hilfe von Erwachsenen nicht meistern können.

Wenn Sie ein Kind auf ein Dreirad setzen, lernt es nicht, selbst aufzusteigen. Und wenn Sie beim nächsten Mal nicht dabei sind, macht sich schnell Frust breit, wenn es die Herausforderung selbst bewältigen muss. Kinder lernen, Materialien und Hilfsmittel zu verwenden, wenn sie die Entwicklungsphase erreicht haben, in der sie diese Dinge handhaben können. Wenn sie von unserer Hilfe abhängig werden, verbuchen sie keine Erfolgserlebnisse bei Aktivitäten, die über ihre bisherigen Fähigkeiten hinausgehen.

Prozess statt Ergebnis

Um ein auf Erfolgserlebnisse ausgerichtetes Umfeld zu schaffen, ist es wichtig, ergebnisoffene Aktivitäten anzubieten, bei denen kein bestimmtes Resultat erwartet wird. Kinder brauchen Möglichkeiten, Materialien auf eigene Weise und im eigenen Tempo zu erkunden. Sie brauchen die Chance, Chaos anzurichten und Fehler zu machen.

Wenn ein kleines Kind über das Papier hinausmalt und Farbe auf die Staffelei oder die Unterlage gelangt, fällt es schwer, nicht zu sagen: „Male nicht auf der Staffelei!“ Oder: „Bleib auf dem Papier!“ Wenn wir uns jedoch auf den Prozess konzentrieren, erkennen wir, dass das Kind lernt, wie Farbe und Pinsel funktionieren und wo sie Striche hinterlassen. Fragen Sie sich: Ist es wirklich so schlimm, wenn die Staffelei bemalt wird?

Ein Mädchen malt an einer Staffelei

Die Chance, Risiken einzugehen

Kinder brauchen Möglichkeiten zu klettern und zu laufen, sich schmutzig zu machen und nass zu werden. Glücklicherweise sind sie noch klein, und wenn sie fallen, sind sie nahe am Boden. Stürze machen ihnen wahrscheinlich mehr Angst, als dass sie zu Verletzungen führen. Natürlich können Sie Ihr Bestes tun, um Gefährdungen zu verhindern, aber sie können nicht sicherstellen, dass Kinder sich nie wehtun. Sie können für sie da sein und helfen, wenn sie sich wehtun, aber Sie sollten sie nicht zu eng beaufsichtigen.

Wenn ein Kleinkind die Rampe an einer Kletterburg hochklettern will und Sie sich nicht sicher sind, ob es das schaffen wird, bleiben Sie in der Nähe, falls Hilfe notwendig ist. Aber Sie sollten das Kind nicht auf die Rampe setzen oder es herunterholen, wenn es nicht weiterkommt. Sagen Sie nicht: „Nein, das ist gefährlich.“ Andernfalls senden Sie die Botschaft, dass Sie immer da sein werden, um das Kind auf die Rampe zu setzen oder herunterzuholen, und dass es nicht in der Lage ist, selbst zu klettern. Wenn es nie herunterfällt, lernt es auch nie, sich festzuhalten, den Körper im Gleichgewicht zu halten oder einen Ausrutscher aufzufangen.

Erzieherin hilft einem Kind

Die Rolle der pädagogische Fachkraft

Die wichtigste Rolle einer Erziehungskraft in einem Ja-Umfeld ist die Prozessbegleitung. Dabei geben Erziehende Anleitung und arbeiten mit den Kindern bei deren Lernprozess zusammen. So liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf den Zielen der Erziehungskraft, sondern auf den Aktivitäten der Kinder und darauf, wie die Erziehungskraft sie unterstützen kann.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass die Kinder „außer Kontrolle“ sind, denken Sie darüber nach, was in diesem Moment passiert. Die Erwartungen einer Fachkraft, was geschehen sollte, entsprechen oft nicht dem Entwicklungsstand und Temperament der Kinder. Statt davon auszugehen, dass Kinder still im Kreis sitzen und einer Geschichte zuhören, müssen Sie eventuell Ihr eigenes Denken ändern, um den Bedürfnissen der Kinder in diesem Moment gerecht zu werden. Wenn einige Kinder herumlaufen möchten, geben Sie ihnen vor der Geschichte die Möglichkeit dazu – oder erlassen Sie ihnen das Zirkelritual gänzlich, sodass sie ihren Bewegungsdrang ausleben können, während die anderen Kinder der Geschichte zuhören. Und wenn keine Kinder bereit sind, für eine Geschichte stillzusitzen? Vielleicht ist es nicht der richtige Zeitpunkt, und Sie können es später noch einmal versuchen.

Erziehungskräfte richten den Gruppenraum ein, erstellen den Tagesplan und die pädagogische Konzeption. Wir müssen jedoch auch flexibel sein, denn der Gruppenraum ist für die Kinder da. Der Schwerpunkt sollte darauf liegen, was die Kinder tun möchten. Wenn wir versuchen, zu viele Elemente zu kontrollieren, empfinden wir leicht Kontrollverlust und Stress. In diesen Augenblicken ist es am besten, tief durchzuatmen, vielleicht einmal zu lachen und zu begreifen, dass es an der Zeit ist, etwas Neues auszuprobieren.

Ein Ja-Umfeld im Gruppenraum bedeutet nicht, dass pädagogische Fachkräfte den Kindern erlauben zu tun und zu lassen, was sie wollen. Es bedeutet, dass wir Geduld mit den Kindern haben und ihre Bedürfnisse auf eine Weise erfüllen, die ihrer Entwicklung angemessen ist. So kehren wir zu den körperlichen Aktivitäten zurück, die die Kinder sich wünschen. Das heißt möglicherweise auch, dass wir die Grenzen unserer Komfortzonen ausdehnen müssen, um diesen Punkt zu erreichen. Wenn das weniger Stress für alle Beteiligten bedeutet, lohnt sich der Weg.

Kinder in der Theaterecke

Themen
Raumgestaltung, soziale und emotionale Bildung
Verwendung
Weiterbildung