Beobachterkinder: Wenn ein Kind nur zuschaut
| Januar 2025In ihrem Buch The Original Learning Approach fordert die Autorin Suzanne Axelsson Erzieherinnen und Erzieher dazu auf, alle Aspekte ihrer Arbeit aus einem breiteren Blickwinkel zu betrachten. Sie lädt uns ein, unsere Annahmen darüber, was Kinder brauchen und wie sie spielen und lernen, neu zu definieren. „Wenn ein Kind nur zuschaut“ ist ein Auszug aus ihrem Buch. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kinder die Welt auf ihre eigene Art und Weise verarbeiten und wie wir Bildungseinrichtungen so anpassen können, dass sie eine große Vielfalt an Spielvarianten erlauben.
Vor vielen Jahren war ich in der Kinderbibliothek des Kulturhauses in Stockholm, und mein Sohn spielte dort mit einem anderen Kind auf Englisch. Ein Teil des Raumes ist als Bibliothek gestaltet, ein anderer Teil als Spielbereich. Ein Mädchen beobachtete sie, und folgte ihnen mit ihren Blicken.
Sie blieb in der Nähe, aber immer außerhalb des eigentlichen Spiels der beiden Jungen. Mein Sohn und sein neuer Freund sahen sie mehrmals an, eine unausgesprochene Einladung zum Mitspielen, aber sie ging nicht darauf ein. Vielleicht lag es an der Sprache, denn sie sprach Schwedisch. Nach etwa zwanzig Minuten kam ihr Vater auf sie zu und fragte, ob sie mit ihm eine Geschichte lesen wolle. Sie sah ihn an, als sei er der lächerlichste Mensch auf der Welt und sagte auf Schwedisch: „Nein – ich spiele.“ Es sah nicht nach Spiel aus. Es ähnelte keiner Definition von Spiel, die ich je von einer Fachperson gelesen hatte. Aber sie hatte es als Spiel definiert. Viele Leute haben sehr klare Vorstellungen davon, wie Spiel auszusehen hat. Deshalb habe ich als Mutter und als Pädagogin viele Jahre gebraucht, bevor ich den Mut hatte, nicht nur meinen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch Eltern gegenüber zu sagen, dass Kinder, die „nur zuschauen“ auch spielen. Es war und ist äußerst entmutigend, mit „Spielexperten“ kontrovers zu diskutieren.
Ich vermute, dass diese Beobachterkinder das Spiel, dem sie zusehen, entschlüsseln. Sie lernen, wie die anderen Kind funktionieren, wie sie spielen und wie sie miteinander umgehen. Wenn man diesen Kindern genügend Zeit gibt, einfach nur sie selbst zu sein, können sie zu den besten Mitspielern in der Gruppe werden, weil sie alle anderen Kinder verstehen. Einige werden an einem bestimmten Punkt zu Anführern in ihren Spielgruppen, weil sie nicht versuchen, die Kontrolle zu übernehmen und das Spiel zu dominieren. Diese Kinder kümmern sich darum, dass jeder auf seinem Niveau spielen kann, und tragen letztlich dazu bei, das Spiel der Gruppe zu verbessern. Andere Kinder wollen, dass sie das Spiel anleiten, weil dann jeder das Gefühl hat, so spielen zu können, wie er will. Wenn wir diese Beobachterkinder zur aktiven Teilnahme am Spiel zwingen, bevor sie von sich aus dazu bereit sind, stören wir sie dabei, das Spiel zu entschlüsseln und schließlich eine Führungsrolle zu übernehmen.
Nach der Szene in der Bibliothek verstand ich genug, um den Mut zu haben, Eltern und Kollegen zu sagen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen. Es ist okay, diese Kinder einfach zuschauen zu lassen. Es war nicht mehr nur etwas, das ich dachte oder glaubte – ich hatte Beweise dafür, dass es sich um Spiel handelte, und seitdem habe ich es immer wieder erlebt. Alle diese Beobachterkinder, die ich im Laufe der Zeit beobachten konnte, haben sich beim Spielen zu Anführern entwickelt. Nachdem ihnen die Zeit gegeben wurde – die Monate oder sogar Jahre, die sie brauchten, um zu beobachten und zu lernen, anstatt gezwungen zu werden, mit anderen zu spielen, bevor sie dazu bereit waren – hatten sie das Wissen und das Selbstvertrauen, um in einer neuen Rolle im Spiel mitzumachen.
Deshalb erzähle ich bei jeder Gelegenheit die Geschichte des Beobachterkindes – des Kindes, das nur zuschaut. Es ist so wichtig, dass wir mehr darüber sprechen, wie vielfältig Spiel ist. Wir müssen die normative Sichtweise auf das Spielen überwinden, die dazu tendiert, einige Kinder auszuschließen. Wenn ich mit Kindern spiele, sage ich ihnen immer, dass wir alle anders lernen, spielen und zuhören. Ich habe gesehen, wie sich dies auf die Akzeptanz der Kinder untereinander auswirkt.
Es ist genauso wichtig, Kinder nicht zu übersehen, die mitspielen wollen. Manche Kinder sind unfreiwillig Beobachter. Es ist unsere Aufgabe als Erwachsene, sichere und Mut machende Räume zu schaffen, in denen diese Kinder sich trauen, um Hilfe zu bitten. Gleichzeitig müssen wir ihnen Zeit und Gelegenheit geben, sich bei verschiedenen Aktivitäten mit neuen Freunden auszuprobieren.
Kinder scheinen drei Dinge zu tun, um das Leben zu verarbeiten:
- Alles und alle beobachten, um die Welt zu verstehen und alle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen.
- Die Suche nach Zugehörigkeit. Sie arbeiten hart daran, dazuzugehören, was bedeutet, dass sie sich anpassen, um normativen Erwartungen zu entsprechen. Hier haben Erwachsene so viel Macht, denn Kinder wenden sich oft an Erwachsene, um herauszufinden, was die Norm ist: Was soll ich sein? Wie sollen andere sein? Und so weiter.
- Spielend alles auszuprobieren – ihre Beobachtungen, gelernte Normen und alles, womit sie zu tun haben.
Wenn wir Kindern gegenüber offen mit der Vielfalt der Kindheit, der Vielfalt des Spiels und der Vielfalt der Menschen umgehen, dann können wir vermeiden, sie in ein vorgefertigtes Schema zu pressen. Die Beobachterkinder dürfen dann auf ihre eigene Art und Weise spielen, ohne dass sie von den Erwachsenen unter Druck gesetzt werden, nach den Normen der Mehrheit zu spielen, und ohne dass die Eltern Angst haben müssen, dass ihr Kind nicht richtig spielt. Wissbegierige „nerdige“ Kinder dürfen sich dann mit Tatsachen beschäftigen – als ihre Art, zu spielen. Andere Kinder dürfen immer wieder dasselbe spielen, auch wenn Erwachsene ihnen andere interessante Spielmöglichkeiten anbieten.
Wir können damit beginnen, die Bildungseinrichtungen so anzupassen, dass sie eine größere Vielfalt an Spielmöglichkeiten bieten:
- Wir können die Spielzeiten verlängern, um die Chance zu erhöhen, dass die Kinder mitmachen. Zwanzig- bis dreißigminütige Pausen reichen für viele Kinder nicht aus, um ihre Spielbeobachtungen zu beenden, bevor sie sich aktiv am Spiel beteiligen – das gilt insbesondere für Beobachterkinder.
- Wir können unser Verständnis für die Spielbedürfnisse von Kindern verbessern. So erhalten Kinder, die Unterstützung oder spezielle Ressourcen benötigen, um mit anderen Kindern ins Spiel zu kommen, Zugang zu diesen Ressourcen. Und Kinder, die Zeit zum Beobachten oder zum repetitiven Spielen brauchen, bekommen diese Zeit.
- Wir können eine Umgebung schaffen, in der wir und die Kinder gut zuhören lernen und alle mitmachen, wenn es darum geht, verschiedene Spielbedürfnisse zu verstehen und einander zu akzeptieren.
Auszug aus Kapitel 1 von Suzanne Axelssons Buch The Original Learning Approach, 2023.
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