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Die inklusive Lernumgebung

mit Ursula Günster-Schöning

Inklusion bedeutet, jedes Kind als einzigartiges Individuum wahrzunehmen und willkommen zu heißen – unabhängig davon, ob es eine Beeinträchtigung hat oder nicht. Wenn pädagogische Fachkräfte diese Einstellung im Alltag leben, spiegelt sich das auch in der Raumgestaltung wider. So wird eine Umgebung geschaffen, in der alle Kinder nach ihren individuellen Bedürfnissen unterstützt und aktiv in ihrer Entwicklung gefördert werden.

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Bedeutung und Verständnis von Inklusion

Inklusion ist für mich ein sehr wichtiges, spannendes und hochaktuelles Thema, weil Inklusion bedeutet eigentlich das Ernstnehmen von Vielfalt. Einige meinen immer noch, Inklusion bezieht sich ausschließlich auf Kinder mit Beeinträchtigung. Aber eigentlich meint Inklusion: Alle Menschen sind anders und damit sind auch alle Menschen irgendwie normal. Und deswegen finde ich gerade auch für eine Kita so eine Grundhaltung von: Jedes Kind, das zu uns kommt, ist anders und jedes Kind, das zu uns kommt, ist auf seine Art und Weise richtig. Und wir müssen jetzt für jedes Kind, das zu uns kommt, die Bedingungen schaffen, dass es die Möglichkeit hat, bei uns gut zu lernen, zu spielen, sich gut zu entwickeln. Und das hat wieder ganz viel mit Haltung und auch mit Einstellung zum Kind zu tun.

Vorstellung der Sprecherin

Mein Name ist Ursula Günstler-Schöning. Ich arbeite als Weiterbildnerin, Coach und Prozessbegleiterin und begleite unterschiedlichste Teams in ganz vielen Bundesländern im Veränderungsprozess. Und vor allen Dingen arbeite ich mit ganz, ganz vielen unterschiedlichen Menschen, die alle im Bereich der frühkindlichen Bildung unterwegs sind, weil das ist ein Herzensthema von mir. Ich selber arbeite jetzt schon seit über 40 Jahren in diesem Bereich und das treibt mich nach wie vor immer noch an.

Missverständnisse, Widerstände und Ängste rund um Inklusion

Inklusion ist immer noch ein Thema, was vielen unter den Nägeln brennt, einige auch aufregt und auch einige dahingehend beeinflusst, dass sie in den Widerstand gehen, weil sie meinen, es ist ausschließlich die Integration von Kindern mit Beeinträchtigung in die eigene Einrichtung. Das macht manchmal Angst. Das ist auch Angst vor Überforderung, Angst, nicht jedem Kind gerecht werden zu können. Und das ist etwas, was im Moment auch die pädagogischen Fachkräfte so aufspaltet in die Gruppe derer, die sagt: „Jedes Kind ist normal, was zu uns kommt, und wir müssen jetzt nicht erst einen Inklusionsstatus haben, mit dem Kind arbeiten zu können.“ Die anderen wiederum sagen: „Ja, aber wenn ein Kind auch eine Beeinträchtigung hat und wenn ein Kind eben doch Auffälligkeiten hat, dann ist das viel anstrengender für uns.“ Und das ist etwas, warum dieses Thema sehr unterschiedlich im Alltag diskutiert wird.

Grundhaltung: Wahrnehmende Beobachtung und bedarfsgerechte Unterstützung

Die Grundhaltung, die den pädagogischen Alltag ausmacht, gerade wenn wir sagen, wir sind eine inklusive Einrichtung oder wir wollen inklusiv handeln, setzt voraus, dass es mir klar ist, dass alle Kinder Unterstützung benötigen, ob sie nun eine Beeinträchtigung haben oder nicht, ob sie hochbegabt sind oder vielleicht sehr schwach in ihrer kognitiven Entwicklung, weil ich dann als Erzieherin immer in die wahrnehmende Beobachtung gehe. Ich schaue, welches Kind in meiner Gruppe was braucht, um sich gut entwickeln zu können. Wer braucht jetzt gerade meine Unterstützung? Wo muss ich mich vielleicht zurückziehen? Wo muss ich aber vielleicht Impulse geben? Und das hängt viel damit zusammen, wie ich in der Lage bin, die Kinder im Alltag zu beobachten.

Praxisbeispiel 1: Reizarme Umgebung für ein Kind mit ADHS

Nehmen wir ein Beispiel: Ich habe ein Kind, was ADHS hat, also es sich schlecht konzentrieren kann, sehr hibbelig ist, schnell impulsiv reagiert. Und ich sage, dieses Kind braucht eigentlich eine reizarme Umgebung. Jetzt ist aber meine Gruppe ja mit vielen Kindern und vielen Materialien und auch vielen Möbeln ausgestattet. Also müsste ich jetzt für dieses Kind in der Gruppe einen Ort schaffen, einen kleinen Raum-in-Raum, wo es sich zurückziehen kann. Oder wo man sagt: „Da habe ich eine Spielecke geschaffen, wo wenig Reize sind.“ Zum Beispiel, indem ich den Tisch an die Wand stelle, dass das Kind dann sozusagen mit dem Rücken zum Gruppengeschehen ist und mit dem Blickkontakt, wenn es hochguckt, zur Wand ist, weil die Wand ist kein Reiz, sondern da können die Augen entspannen und es wird gleichzeitig fokussiert und geleitet auf das Spielmaterial, was vor ihm auf dem Tisch liegt. So habe ich ein kleines Stück Rückzugsort im Raum geschaffen, damit dieses Kind fokussiert spielen und lernen kann, weil es sich im Raum nicht ständig abgelenkt fühlt.

Praxisbeispiel 2: Bewegungsbedürftiges Kind und flexible Raumgestaltung

Ein anderes Beispiel wäre, dass ich sage, ich habe ein sehr bewegungsfreudiges Kind, wo ich weiß, das kann nicht lange still an einem Platz sitzen, weil vielleicht seine Körperspannung noch nicht so ausgereift ist oder sein Becken sich noch nicht richtig aufgerichtet hat. Von daher kann es nicht lange still sitzen, sondern es braucht immer mal wieder einen körperlichen Impuls, dass es aufstehen kann, sich bewegen kann. Wenn ich jetzt einen flexiblen Raumteiler habe, könnte ich für dieses Kind den Baubereich ein bisschen abgrenzen oder seinen Spielbereich, sodass dieses Kind auch impulsiv aufspringen kann, vielleicht eine kurze Bewegungseinheit machen und sich dann wieder hinsetzen. Würde ich das Kind ganz normal an einen Tisch setzen und es würde aufspringen, würde es vielleicht etwas umreißen, ein anderes Kind behindern, es würde zu Konflikten kommen. Richte ich den Raum passend ein und grenze ab, kann es sich auch in einem vollen Gruppenraum gut einfinden.

Rückzugsorte und Nebenräume als Schutz- und Lernräume

Oder ich muss eben so flexibel sein, dass ich sage: „Für dieses Kind haben wir noch einen Nebenraum.“ Und dort haben wir ein großes Bewegungsangebot, weil der Raum wenig Möbel hat. Wenn es nicht genug Nebenräume gibt, kann ich im Gruppenraum über Raumteiler eine Art kleine Höhle schaffen, wo das Kind sich zurückziehen und Ruhe finden kann. Sichere Rückzugsorte sind gerade für Kinder mit Beeinträchtigung wichtig und wertvoll.

Multifunktionale Raumkonzepte und inklusive Möbel

Um erfolgreich mit Kindern zu arbeiten, braucht es multifunktionale Raumkonzepte. Wenn man mit Möbeln eine wirklich inklusive Umgebung schaffen möchte, ist es wichtig, Möbel multifunktional zu denken. Die Erzieherin bzw. der Träger schafft Möbel an, die von den Kindern benutzbar gemacht werden können und die pädagogische Arbeit unterstützen. Wenn ich vielfältige Kinder habe, brauche ich Möbel, die Vielfalt ermöglichen: Möbel, die ich unterschiedlich nutzen kann.

Roomscapes: Raum-in-Raum flexibel gestalten

Die Roomscapes, also das Raum-in-Raum-Konzept, finde ich persönlich sehr gut, weil ich in der Lage bin, als pädagogische Fachkraft meinen Raum innerhalb kürzester Zeit umzurüsten. Ich kann Tische ruckzuck hoch oder niedrig machen, je nachdem, was ich gerade brauche. Ich kann mit wenigen Handbewegungen einen Raumteiler wegnehmen, weil ich mehr Platz brauche. Ich kann aber auch für ein überfordertes Kind durch wenige Handgriffe ein kleines Raum-in-Raum-Konzept schaffen und einen Rückzugsort liefern. Das unterstützt Fachkräfte, kind- und bedürfnisorientiert zu arbeiten, ohne große Möbel zu verrücken.

Pädagogische Leitlinie: Jedem Kind das Seine – nicht allen das Gleiche

Meine Haltung ist: jedem Kind das Seine und nicht für alle das Gleiche. Das ist ein hoher Anspruch an pädagogische Fachkräfte, weil sie immer wieder ihr Handeln überdenken müssen. Sie müssen regelmäßig ihre Raumkonzepte reflektieren: Passt das, was wir haben, zu den Kindern, die wir haben? Ist der Raum so, dass alle Kinder „satt werden können“, wenn ich den Raum als ein Buffet verstehe?

Raum als „Buffet“: Rotation von Materialien und Sicherheitsaspekt

Das bedeutet, ich muss immer mal wieder Material austauschen, umstellen, Dinge rausnehmen und andere hineingeben. Mit Blick auf Kinder mit Besonderheiten gilt: Der Raum muss sicher sein und zugleich lustvoll, damit sie dort gut spielen und lernen können.

Balance aus Zutrauen und professioneller Beobachtung

Es braucht die Mischung aus Zutrauen in die Kompetenz der Kinder und der Rolle als wahrnehmende/r Beobachter/in: Wo muss ich eingreifen, unterstützen, Impulse geben? Und wo kann ich mich zurückziehen, weil der Raum so gut hergerichtet ist, dass alle Kinder gut ins Spiel kommen?

Themen
Kinder mit Förderbedarf, Gruppenraeume
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